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Dienstag, 19. April 2011

Im Akkord zur Schlachtreife

Keine anderen Lebewesen werden so industriell gezüchtet, gemästet und verwertet wie Hühner und Puten. Über 50 Milliarden Stück Geflügel verarbeitet die Branche weltweit pro Jahr. Führend sind deutsche Firmen. Ihre Methoden stoßen zunehmend auf Gegenwehr.

Ein Putenküken kämpft sich ins Leben. Es krempelt sich etwas langsamer aus dem Ei als die anderen, vielleicht lag es etwas weit unten.

Die anderen, das sind 125. Ihr Nest ist eine Plastikbox in einer Brüterei, 85 mal 60 Zentimeter groß, mit schmalen Seitenschlitzen, durch welche die Beine und Schnäbel derer gedrückt werden, die es nicht weiter nach oben geschafft haben.

Aus der Box werden die Küken auf eine Stahlrutsche geworfen, von der sie auf ein Fließband fallen - zumindest die, die ordentlich aussehen.

Doch in fast jeder Box gibt es ein paar, die nicht so richtig hochkommen, taumeln oder noch mit dem Schlüpfen beschäftigt sind. Manchmal geben ihnen die Brütereimitarbeiter noch ein paar Minuten.

Wenn sie dann nicht ordentlich stehen, werden sie in den Kasten zurückgesetzt. Zwischen Schalenresten und totgeborenen oder siechenden Artgenossen geht es ein anderes Fließband nach oben - auf eine Rampe, wo sich hinter Plexiglas jetzt auch das eine Küken aufgerappelt hat und fiepend umblickt.

Doch es ist spät dran. Zu spät.

Die Box wird gekippt. Das Küken rutscht mit den Schalen in einen Häcksler, wo sein Leben zermanscht wird, als es gerade begann.

Wie diesem Tier in der Brüterei Kartzfehn bei Oldenburg ergeht es im Jahr Millionen Küken in Deutschland. Sie sind Störfaktoren einer Branche, die im Akkord daran arbeitet, Leben zur Schlachtreife zu bringen. Tiere sind für diese Wachstumsindustrie Rohstoffe, die möglichst fix verarbeitet und zügig ins Regal müssen.

Vor 50 Jahren brauchte ein Huhn zwei Monate, um mit gut einem Kilogramm Gewicht geschlachtet zu werden. Heute frisst es sich in Riesenställen quasi unter Dauerbeleuchtung in 33 Tagen auf 1,6 Kilo. Sein Sättigungsgefühl haben die Züchter ausgeschaltet. Sein Muskelfleisch wächst schneller als die Knochen, die unter der Turbomast häufig kapitulieren. Vor allem zum Ende des manischen Fressens können sich viele Tiere - ob Puten oder Broiler - kaum mehr auf den Beinen halten. Zum Futter- und Wassertrog schleppen sie sich unter Qualen. Brustblasen, Brüche, Fußballenverätzungen und Pickattacken bereiten vielen Dauerschmerzen.

Die Industrie braucht indes nicht unbedingt gesunde Tiere, mit kranken läuft das Geschäft genauso gut. Mehr als 50 Milliarden Vögel werden in Geflügelfabriken pro Jahr weltweit produziert. Die Zuwachsraten des weißen Fleisches sind so enorm, dass sich längst auch Finanzinvestoren für das Geschäft interessieren. Am niederländischen Konzern Plukon Royale Group ("Friki") etwa halten sie die Mehrheit.

Besonders stark wächst die Branche in Deutschland: Von 2003 bis 2009 stiegen die Schlachtzahlen um fast 40 Prozent auf knapp 1,3 Millionen Tonnen. Das ist weit mehr, als die Deutschen essen, obwohl sie 1,7 Millionen Hühnchen pro Tag vertilgen.

Dennoch setzen die Manager der großen Geflügelkonzerne weiter auf Wachstum. Hunderte neuer Riesenställe sind geplant - vor allem in Niedersachsen.

Das Land gilt als Mekka der Mäster. 30 Millionen Hähnchenmastplätze gibt es allein im Emsland. Auf die Politik - ob rot oder schwarz - war stets Verlass. Hier zog die Lobby sogar ins Ministerium ein: Bis vor einigen Wochen lenkte die Putenmastunternehmerin Astrid Grotelüschen (CDU) das Landwirtschaftsressort. Doch dann kam heraus, dass sie früher in einem Schlachtbetrieb für Dumpinglöhne verantwortlich war. Umstrittene Mäster hatten zudem vorformulierten juristischen Beistand erhalten - abgeschickt von Grotelüschens privatem Faxgerät. Selbst für niedersächsische Verhältnisse war das etwas zu viel des Guten. Die Ministerin musste gehen.

Grotelüschens Branche stößt nun auf wachsende Gegenwehr. Und die kommt nicht nur von Umweltschützern, "sondern auch von der nicht in der Landwirtschaft tätigen Bevölkerung sowie von Landwirten selbst", so Hans-Wilhelm Windhorst im Magazin "Geflügelwirtschaft und Schweineproduktion".

Der Agrar-Geograf Windhorst war bisher einer der namhaftesten Fürsprecher der Branche. In diesem Aufsatz ist er kaum wiederzuerkennen. Er warnt vor Umweltschäden und Seuchenrisiken der Industriemast. Die Überversorgung mit Fleisch, so der Autor, werde zu Verdrängung führen, womöglich zum "Zusammenbruch ganzer Produktionsketten".

Windhorst zielte vor allem auf den Schlachthof, den Franz-Josef Rothkötter gerade in Wietze bei Celle hochziehen lässt: 27 000 Hähnchen sollen hier bald geschlachtet werden - pro Stunde. Das wären 135 Millionen im Jahr, mehr als irgendwo sonst in Europa.

Entlang der A 7 zwischen Soltau und Northeim sind etwa 200 neue Mastställe geplant. "Hühner-Highway" nennen das die Bürger, die im "Netzwerk Bauernhöfe statt Agrarfabriken" dagegen kämpfen. Über hundert solcher Initiativen soll es inzwischen bundesweit geben. "Hühnerkot riecht, als hätte sich jemand gerade frisch übergeben", sagt Petra Krüler, die in Etelsen bei Verden eine Mastanlage mit 100 000 Plätzen verhindern will.

Rothkötter war Futtermittelhändler, bevor er 2003 mit einem ersten Schlachthof im Emsland in die Geflügelverarbeitung einstieg. Er wuchs mit Discountern wie Lidl, die damals Frischfleisch ins Sortiment nahmen. Und er wuchs sehr schnell: Von null auf inzwischen über 20 Prozent Marktanteil in sieben Jahren.

Weil das Geschäft mit Geflügel wegen der Seuchengefahr risikoreich ist, brauchte Rothkötter einen zweiten Standort. Und da die mit Ställen gepflasterte und von Gülle ausgelaugte Weser-Ems-Region nicht mehr in Frage kam, lockte ihn die Landesregierung nach Celle in Ostniedersachsen.

Für den Bau des Schlachthofs erhält er 6,5 Millionen Euro Subventionen. Die Kommunalpolitiker in Celle bejubelten das Objekt als "Sechser im Lotto" und versprachen "bis zu 1000 Arbeitsplätze". Dabei hatte Rothkötter selbst nur von 250, ein anderes Mal lediglich von 100 gesprochen - nun hat er mit akutem Mästermangel zu kämpfen und verschob gerade erst die Fertigstellung.

Mögliche Hindernisse wie die Erweiterung von Kläranlagen scheinen kein Problem zu sein. Zudem ist Rothkötter gut verdrahtet. Juristisch unterstützt wurde er etwa von der Osnabrücker Kanzlei Funk.Tenfelde, zu deren Bürogemeinschaft auch Niedersachsens Ex-Landeschef Christian Wulff zählt. Der heutige Bundespräsident steht noch immer auf dem Firmenschild, allerdings mit dem Zusatz: "Übt seinen Beruf z. Zt. nicht aus".

Wie zuvorkommend Rothkötter & Co. behandelt werden, zeigt ein Erlass des Landwirtschaftsministeriums vom vergangenen Frühjahr: 150 Meter Abstand müssen Mastställe zu Wäldern einhalten - eigentlich. Doch Niedersachsen dachte sich für bauwillige Landwirte etwas ganz Besonderes aus: Selbst nicht gefällte Bäume sollen plötzlich als umgelegt gelten. Der Wald, so der Erlass, sei "als nicht vorhanden zu bewerten".

Doch nun wächst der Widerstand in der Region. In einigen Dörfern herrscht sogar "Hähnchenkrieg" ("Die Zeit"). Am frühen Morgen des 30. Juli 2010 brannte in Sprötze in der Nordheide ein Stall für 37 000 Masthühner ab. Es war der Stall eines Rothkötter-Mästers. Im Internet bekannte sich kurz darauf eine "Animal Liberation Front" zu dem Brandanschlag. Die Aktion sei durchgeführt worden, "um direkt Leben zu retten, da alle vorher argumentativ geführten Auseinandersetzungen gescheitert sind".

Bauernpräsident Gerd Sonnleitner sieht bereits die Demokratie in Gefahr und bat den Bundesinnenminister in einem Brief um Beistand. "Rechtswidrige Kampagnen und eine mediale Hetzjagd" seien schuld daran, dass die Geflügelbranche "in Verruf" gerate. Dabei nehme die doch "den Tierschutz sehr ernst".

Wie konnte es so weit kommen?


Die Zucht: Das optimierte Huhn

Ein Huhn konnte früher leicht 15 Jahre alt werden. Es war robust, anpassungsfähig und fraß, was am Boden liegenblieb. Das Huhn diente den Römern als Orakel, den Germanen als Grabbeigabe, und es war die Notreserve auf Schiffen. Auch alte Arten wie das rote Kammhuhn legten Eier, etwa 36 pro Jahr.

Heute schaffen Legehennen über 300 Stück - egal, wie schlecht sie gehalten werden. "Die legen einfach ums Verrecken", so der Veterinär einer Landesaufsichtsbehörde, der nicht genannt werden möchte. Nach einem Jahr werden sie getötet. Für die Branche ist es billiger, mit neuen Tieren von vorn anzufangen. Kein Lebewesen ist produktionstechnisch so ausgereizt wie das Huhn.

Angefangen hat es hierzulande in den fünfziger Jahren, als Ketten wie Wienerwald Geflügelfleisch populär machten. Erste Küken wurden aus Amerika per Luftfracht eingeflogen, und bereits 1956 beglückte Heinz Lohmann die Nation mit dem "Goldhähnchen", dem ersten deutschen Markenbroiler. Das genetische Know-how freilich kam aus Übersee. Die Architekten der Massentierhaltung, so beschreibt es der Amerikaner Jonathan Safran Foer in seinem Bestseller "Tiere essen", hatten dort die "Hühner von morgen" entwickelt. Und zwar zwei ganz unterschiedliche Linien - eine für Eier und eine für Fleisch.

Die Genetik der Tiere wurde dafür gründlich manipuliert. Zwischen 1935 und 1995 stieg das Durchschnittsgewicht eines Masthuhns um 65 Prozent, während seine Lebensdauer um 60 Prozent sank. "Diese Tiere sind so degeneriert, dass schon Tageslicht für sie ein Stressfaktor ist", sagt die Veterinärin und Autorin Anita Idel.

Im System gibt es jedoch einen Fehler: die Brüder der Legehennen. Während die Mast mit männlichen und weiblichen Tieren möglich ist, setzen die Hähne aus den Legelinien kaum Fleisch an, und Eier legen können sie auch noch nicht. Die Industrie hat keine Verwendung für sie. Über 40 Millionen Eintagsküken werden deshalb pro Jahr getötet - und wandern in den Abfall.


Die Industrie: Für jeden Markt das passende Produkt

"Die moderne Geflügelzucht ist eine große soziale Tat", glaubt Paul-Heinz Wesjohann. Der 76-Jährige, ein freundlicher Herr mit dichtem weißem Haar, ist eine Art Nestor der deutschen Geflügelwirtschaft. Er freut sich darüber, dass Hühnerfleisch heute etwa dasselbe kostet wie vor 50 Jahren. Als Wesjohann im väterlichen Betrieb anfing, musste er noch selbst misten. Er sah, wie aus Verschlägen Ställe und aus Ställen über hundert Meter lange Lager mit automatisierter Futtersteuerung wurden. Wer heute mit ihm reden will, muss sich an eine PR-Agentur wenden.

Wiesenhof heißt die bekannteste Marke seines PHW-Konzerns, eine Nachfolgefirma von Lohmanns "Goldhähnchen" und mit über zwei Milliarden Euro Umsatz und 40 Tochterfirmen Marktführer in Deutschland.

Wiesenhof - das ist ein niedlicher Name für ein Unternehmen, dessen Tierfabriken aussehen wie Hochsicherheitstrakte. Wiesen und Höfe braucht dieses System seit langem nicht mehr.

Ein Huhn aus der Fabrik, da hat Wesjohann recht, kostet heute kaum noch etwas. Das Kilogramm Hähnchenfleisch gibt's für 1,80 Euro. Geflügel ist inzwischen günstiger als ein Salat aus der Region.

Die Bestseller-Rassen, die Cobb 500 oder Ross 308 heißen, werden mit Bedienungsanleitungen geliefert, die Tagesablauf, Futter, Licht und Temperatur regeln. In den Ställen geht das meiste vollautomatisch, eine Arbeitskraft versorgt in dieser Industrie inzwischen 100 000 Tiere. Die Großen wie Wiesenhof oder Heidemark operieren quasi voll integriert: Von der Zucht, über das Futter, die Küken, Mast, Schlachtung und Verarbeitung ist alles in eigenen Händen, manchmal sogar die Ställe. PHW/Wiesenhof hat sogar Impfstoffe im Programm.

Die Mäster sind zwar theoretisch frei, tatsächlich aber nur noch Lohnarbeiter: Das Vertragsunternehmen liefert die Küken für etwa 20 Cent pro Stück. Verkauft der Mäster sein Huhn dann wieder an die Wiesenhofs & Co., bekommt er rund 95 Cent pro Kilo. Zieht man die Investition für den Stall und die Kosten für Futter, Energie und den Tierarzt ab, bleiben wenige Cent übrig, wenn überhaupt: Denn Seuchen- und Krankheitsrisiken trägt in diesem System allein der Lohnmäster.

Wie selbständig die Mäster tatsächlich sind, zeigte ein Infoschreiben des PHW-Managers Felix Wesjohann vor einiger Zeit. Aus gegebenem Anlass ("Tierschützer sind unterwegs / Meldungen in Funk und Fernsehen") wies er die Mäster quasi an, Unbefugten keinen Zutritt zu gewähren. "Betriebsfremde Tierärzte", hieß es weiter, seien "nicht unbeaufsichtigt in die Ställe zu lassen". Bei Arbeiten der Impftrupps - hier geht es meist etwas rabiater zu - seien "die Türen verschlossen" zu halten. Hier sprach ein Vorgesetzter zu seinen Untergebenen.

Die Branche ist mittlerweile hoch konzentriert. Nur noch zwei Firmen herrschen über die Genetik von drei Vierteln des weltweiten Mastgeflügels: Aviagen und Cobb-Vantress. Aviagen, die weltweite Nummer zwei und ursprünglich auch amerikanisch, gehört inzwischen zur Agrarholding von Erich Wesjohann in Cuxhaven, dem Bruder von Paul-Heinz. Beide Unternehmen sind seit 1998 getrennt, angeblich können die Brüder nicht so gut miteinander. Die intensive Geschäftsbeziehung der beiden hat das allerdings nicht verhindert, die Küken für Paul-Heinz kommen aus der Zucht seines Bruders Erich. Beide vertrauen sogar derselben PR-Agentur. Weder die Wesjohanns im Emsland noch die in Cuxhaven waren für den SPIEGEL zu sprechen.

Weil das Geschäft so verwundbar ist, werden Farmen und Labore abgeschottet wie Reinräume in Chip-Fabriken. Nicht umsonst stehen sie in Cuxhaven oder in Schottland in Küstennähe. Bei vorherrschendem Westwind werden mögliche Erreger wenigstens ins Landesinnere gepustet und nicht auf die eigenen Farmen in der Nachbarschaft. "Die Zuchtfarmen", so Anita Idel, "sind deren Fort Knox, diesen Schatz geben die nicht aus der Hand."

Lohmann Tierzucht (LTZ) heißt die Cuxhavener Firmengruppe von Erich Wesjohann, benannt nach dem alten Gründer Heinz Lohmann. Am Stadtrand steht eine Art Campus mit Laboren und Brüterei, es gibt Zuchtfarmen und eine unscheinbare Zentrale hinter dem Nordseedeich. Nach einem Weltmarktführer, der über hundert Länder beliefert, sieht es nicht unbedingt aus.

Lohmann verspricht, "für jede Haltungsform das passende Huhn" und "für jeden Markt das passende Ei" zu liefern. Die Produktion von neuem Leben läuft als Just-in-time-Geschäft. "Lufthansa Cargo weiß ein Jahr im Voraus auf den Tag genau, wann ein Betrieb in Asien mit Küken bestückt werden soll", so die Veterinärin Anita Idel.

Von ehemals Hunderten Hühnerrassen dominieren heute nur noch eine Handvoll Hybridzüchtungen den Markt. Versuche, diese Masthühner zu befreien und auf Höfen weiterleben zu lassen, endeten kläglich: Viele der überzüchteten Tiere starben nach wenigen Wochen an Herzinfarkt. Diese genetische Verarmung und mangelnde Fitness sei "ein kritischer Punkt", räumt selbst ein internes Lohmann-Protokoll ein. Da müsse man "gut argumentieren".

Doch das gelingt dem deutschen Weltmarktführer offenbar nicht so gut: Die Staatsanwaltschaft Stade ermittelt gegen die Firmenspitze wegen Verstoßes gegen das Tierschutzgesetz. Denn das Optimieren des Huhns für den Weltmarkt ist ohne Tierquälerei praktisch nicht möglich: Zuchthühnerküken wurden massenweise an Kämmen und Zehen amputiert und beschnitten. Ein Gutachten für die Ermittler bestätigt das Verbot: In selten klarer Weise stellt das Niedersächsische Landesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit (Laves) darin klar, dass für die Verstöße auch keine tierärztliche Indikation, also Ausnahme, vorliegt.

In Cuxhaven wurden zudem massenweise für die Zucht unbrauchbare männliche Eintagsküken mit CO2 vergast. Töten ohne Grund untersagt jedoch das Gesetz. Die Kadaver sind offenbar nicht einmal verarbeitet worden, etwa zu Tierfutter. Nach Ermittlungsunterlagen, die dem SPIEGEL vorliegen, wurden die toten Küken zur Bremerhavener Entsorgungsgesellschaft gebracht, wo sie im Hausmüll landeten. Das jedoch wäre illegal, weil Kadaver in Tierkörperbeseitigungsanstalten gehören, was deutlich teurer gewesen wäre.

"Keiner Branche haben Ministerien und Behörden so viel Rechtsbrüche durchgehen lassen wie der Geflügelindustrie", sagt Edmund Haferbeck von der Tierschutzorganisation Peta. Nach den Ermittlungen in Stade sei die Politik aber nun plötzlich "zusammengezuckt" - zuerst in Niedersachsen und nun auch im Bund. Landwirtschaftsministerin Ilse Aigner erwägt sogar das Neubauverbot jeglicher Käfiganlagen.

Ein bemerkenswerter Schwenk, denn auch die Union hatte sich die klaustrophobischen Kleingruppen-Legebatterien von der Industrie lange als tierschützerische Wohltat verkaufen lassen.

Das Verfahren gegen Wesjohanns Firma LTZ schleppt sich schon eine Weile hin. Fragen dazu wollte der verantwortliche Geschäftsführer Rudolf Preisinger nicht beantworten, er sei so viel unterwegs. Aus Ermittlungsunterlagen geht jedoch hervor, dass LTZ für die Amputationen ärztliche Indikationen konstruiert haben soll - mit Hilfe eines Veterinärs des Landkreises Cuxhaven. Der hatte die Verstümmelungen in einer ersten Bewertung noch für unzulässig erklärt, kurz darauf schwenkte er auf die LTZ-Linie ein: Das Kämmeschneiden sei nötig, weil dieses Organ umklappe "und demzufolge häufig das Auge der betroffenen Gesichtshälfte verlegt". Das allerdings haben viele Hühner-Kämme seit Jahrhunderten so an sich.

Der tatsächliche Grund für den schmerzhaften Schnitt, so das Laves-Gutachten, ist wirtschaftlicher Natur: Er wird gemacht, um das Geschlecht zu unterscheiden.

In einem internen "Ethik-Protokoll" schreibt LTZ: "Kämme- und Zehenschneiden bleiben im Prinzip illegal, wurden bisher jedoch noch nicht kontrolliert - dieser Bereich bleibt sehr gefährlich für LTZ."


Die Mast: Warum der Schnabel amputiert wird

Auch die Brüterei Kartzfehn in Wiefelstede bei Oldenburg lässt sich von LTZ/Aviagen bestücken, meist mit der Rasse Big 6. Wer den Betrieb besichtigen will, muss zuerst unter die Dusche und durch Desinfektionsschleusen. 13 Millionen Eier werden hier pro Jahr zum Schlüpfen gebracht, die Küken bis nach Ägypten verschickt. Auch in den Hotels am Roten Meer soll der europäische Gast seinen gewohnt genormten Geflügelgeschmack genießen können.

Bereits die Elterntiere dieser Mastküken zieht Kartzfehn selbst groß - in über 130 Ställen eines ehemaligen Putenkombinats in Brandenburg. Sie sollen sich befruchten und Eier legen, aus denen dann die Mastputen schlüpfen. Die Elterntierzucht ist noch mit richtiger Handarbeit verbunden. Etwa bei der Besamung: Die klappt wegen der riesigen Brustumfänge der Tiere nicht mehr auf natürliche Weise. Bosse beschäftigt deshalb speziell geschulte "Samen-Melker". Bei guter Leistung - es kommt sehr aufs Gefühl an - gibt es eine Melk-Prämie.

Die Eier dieser Elterntiere, die dann in Wiefelstede ankommen, werden in den Brutmaschinen unter stündlicher Wendung bei 37 Grad Celsius ausgebrütet. Trotz Hightech werden 1,3 Millionen Eier im Jahr nicht befruchtet und landen im Müll, die Schlupfrate liegt bei nur 75 Prozent.

Was dann geschlüpft ist und für gut befunden wurde, fliegt per Hand auf die Förderbänder - zu den Kükensexern, einem Team von zehn Südkoreanern, die das Geschlecht der Tiere bestimmen. Die Sexer arbeiten im Zwei-Sekunden-Takt: Sie drücken den Küken auf den Hintern, das Küken kotet grünlichen Brei, der Sexer inspiziert den Darmausgang und wirft das Tier dann entweder auf das Hahn- oder Hennenfließband. Vier Cent gibt es pro Küken, das Team garantiert der Brüterei 98 Prozent Genauigkeit.

Bevor die Küken in versandfertige Kartons kommen, wird ihr Kopf noch in eine Maschine gehängt. Sie baumeln wie an einem Galgen, während ihr Schnabel in einer Art Anspitzer steckt und bei etwa 80 Grad mit Infrarotlicht amputiert wird. Amputationen sind nach dem Tierschutzgesetz verboten. Aber für ganz Niedersachsen gilt quasi eine Dauerausnahmegenehmigung.

"Die Schnabelbehandlung ist umstritten", gibt Firmenchef Heinz Bosse zu. Doch sie geschehe, versichert die Branche stets, nur zum Schutz und späteren Wohlbefinden der Tiere, die sich sonst bepicken würden. Auch in vielen Bio-Ställen ist es inzwischen so eng, dass Schnabelspitzen abgebrannt werden.

"Schnabelkürzen ist nicht wie Nagelschneiden", sagt Hermann Focke, "das geht mitten ins Leben und führt zu dauernden Amputationsschmerzen." Focke ist der ehemalige Leiter des Veterinäramts Cloppenburg, einer Region mit der größten Nutztierdichte Europas.

Der tatsächliche Grund für das Kürzen sei die klaustrophobische Enge in den Ställen vor allem zum Ende der Mast hin - ein Stadium, das die Branche hermetisch abschirmt. Putenhähne wiegen dann gut 20 Kilogramm. Sie haben ihr Geburtsgewicht von 50 Gramm in 22 Wochen 400fach gesteigert. 40 Prozent ihres Gewichts sind Brustfleisch.

Schon Wochen vor dem Schlachttermin, sagt Focke, können sich viele kaum noch bewegen. "Sie vegetieren nur noch dahin." Verlustraten von bis zu zehn Prozent gelten als normal, das sind immerhin ein paar tausend Tiere bei jedem Mastdurchgang. Bis zu 100 Prozent der in Schlachthöfen untersuchten Puten, so eine Studie der Uni Leipzig, hatten Hautverätzungen an den Fußballen, fast 30 Prozent der untersuchten Hähne litten an schmerzhaften Brustblasen. Viele schaffen die Mastzeit nur, weil sie fast ständig unter Antibiotika stehen.

"Was hier passiert ist Qualzucht", sagt Focke, der Hunderte Ställe überprüft hat.


Der Verbraucher: Wer zahlt den wahren Preis?

Francisco Marí und Rudolf Buntzel beschreiben in ihrem Buch "Das globale Huhn", wie seuchenanfällig eine der Hybridrassen war. Aber das wurde natürlich nicht zugegeben. "Die schwer kalkulierbaren Risiken müssen systemimmanent beherrscht werden" - mit Pharmazeutika und QS-Systemen, einer freiwilligen Selbstkontrolle, die auch den Futtermittelpanscher Harles und Jentzsch jahrelang durchgewinkt hat. "Der freie Auslauf der Hühner wird als Gefahr dargestellt, primitiv und unorganisiert, was angeblich den Verbraucherwünschen nach Sicherheit widerspricht."

Doch wie sicher ist dieses System, das durch Antibiotika-Einsatz so resistente Keime erzeugt, dass Geflügelbauern in Krankenhäusern inzwischen als Sicherheitsrisiko gelten? Das jahrelang Klärschlamm zu Futtermittel verarbeitete und jüngst dioxinhaltige technische Fette? Und das den Verbraucher "über Jahrzehnte auf Preis, Preis, Preis getrimmt und zu Billigheimern erzogen hat", wie Ex-Metro-Chef Klaus Wiegandt selbstkritisch anmahnt?

QS-geprüft - das ist auch der Friki-Schlachthof in Storkow. Nahe der polnischen Grenze werden dort in einem ehemaligen DDR-Kombinat 100 000 Hähnchen pro Tag geschlachtet. Geschäftsführer Bernhard Lammers produziert hier das wohl billigste Fleisch der Republik, seine Kunden sind Discounter im Osten. "Hier", ruft Lammers durch den Maschinenlärm, "ist die Anlieferung, da bekommen die Tiere eine Ruhepause." Die Hühner kauern in engen Plastikboxen, in acht Stockwerken übereinander. Sie werden aus der Box auf ein Tunnelfließband gekippt, in das CO2 geleitet wird.

Durch Gucklöcher ist zu sehen, dass viele Tiere auch danach noch zucken. Die Hühner werden dann mit der Hand auf den Haken gedrückt und fahren am Schnittmesser vorbei. Füße und Kopf werden abgetrennt, bevor die Tiere in den Brüter und dann in den Rupfer kommen. Erst kurz vor der Filetierung und Verpackung kommt hier der Staat ins Spiel.

Eine einzelne Fleischbeschauerin sitzt am Band, wo die nackten Hühner vorbeirattern. Mal schneidet sie einen blutunterlaufenen Flügel weg, mal nimmt sie ein ganzes Huhn ab, doch gegen das Tempo des Fließbands kommt sie nicht an: Wenn sie sich ein Tier vornimmt, rasen etliche andere unbesehen durch.

Nicht nur in Storkow kommt es vor, dass ganze Herden trotz vermeintlicher "Salmonellen-Null-Toleranz" mit Keimen befallen sind. Das Salmonellenfleisch wird dann nicht entsorgt, nein, es darf weiterverarbeitet werden, etwa zu Wurst, Nuggets oder Cordon bleu.

Schon seit mehreren Jahren, sagt Lammers, versuche er dem Handel eine Art länger gemästetes Öko-Huhn anzubieten. Doch das lasse sich nicht verkaufen. Der Verbraucher, heißt es in der Branche gern, wolle es so billig. Wenn wir es nicht tun, lautet ein anderes beliebtes Argument, machen es andere.

Aber wer sollte in die Bresche springen? Die Niederländer vielleicht? Dort gibt es inzwischen Stilllegungsprämien, weil das Grundwasser in einigen Regionen die Massen von ausgebrachtem Tierkot nicht mehr verkraftet. Selbst deutsche Böden sind so überdüngt, dass ein Vertragsverletzungsverfahren aus Brüssel droht.

Genau genommen ist der Preis für das Fleisch gar nicht niedrig, es bezahlen ihn nur andere. Die Tiere mit der Qualzucht, die osteuropäischen Billiglöhner in den Schlachtereien und die Umwelt, die durch den Sojaanbau, eine Grundlage des Hühnerfutters, massiv geschädigt wird: Für die Kultivierung der eiweißreichen Bohne werden in Südamerika riesige Urwald- und Savannengebiete gerodet, der Pestizideinsatz auf den Feldern steigt.

Und schließlich zahlt auch der Verbraucher, der Fleisch bekommt, das nach nichts schmeckt. "Alles, was so schnell wächst, hat nun mal nicht viel Geschmack, muss man eben ordentlich würzen", so Wilhelm Hoffrogge, Cheflobbyist des Zentralverbands der Geflügelwirtschaft.

Den Menschen in Möckern in Sachsen-Anhalt hat all das den Appetit nicht verdorben. Zum alljährlichen Broilerfest war die Stadthalle vor einigen Monaten dermaßen überfüllt, dass die 500 halben Hähnchen nicht reichten. Es waren Wiesenhof-Hähnchen, denn der Konzern ist der größte Arbeitgeber vor Ort.

Und dafür ist man hier noch dankbar: In Möckern steht sogar ein Wiesenhof-Denkmal.

http://www.spiegel.de 14.02.2011

Schmierige Geschäfte

Wieder einmal bedroht vergiftetes Tierfutter die Gesundheit der Verbraucher. Das Kontrollsystem ist zu lasch, die Informationspolitik ein Desaster. Der jüngste Dioxin-Fall zeigt, dass die Verantwortlichen aus den Lebensmittelskandalen der Vergangenheit wenig gelernt haben.

Belgien, Frühjahr 1999: Kontrolleure finden in Eiern unter anderem hohe Dosen Dioxin. Ein Fetthändler hatte einem Futtermittelhersteller hochbelastete Rohstoffe geliefert. Das Gift gelangte in Hühner, Schweine und Rinder - und schließlich in den Magen deutscher Verbraucher.

Der Schaden ging in die Milliarden. Die Bundesgesundheitsministerin empörte sich über die Belgier, die Europäische Union kündigte drastische Veränderungen an.

Deutschland, Winter 2011: Eier bleiben in Regalen liegen. Mütter fragen sich, ob sie ihren Kindern noch Kuhmilch zu trinken geben können. Behörden sperren fast 5000 Höfe und lassen Hunderttausende Eier vernichten. Ein Hersteller in Uetersen bei Hamburg hat mit Dioxin kontaminiertes Fett geliefert - und damit 150 000 Tonnen Futtermittel verseucht.

Die Bundesministerin für Verbraucherschutz Ilse Aigner (CSU) findet es "wirklich schade, dass eine ganze Branche durch einzelne Übeltäter in Mitleidenschaft gezogen wird". Sie kündigt Gespräche mit den Ländern an, die künftig für besseren Schutz sorgen sollen.

Wie sich die Bilder gleichen. Die Klagen. Die Beschwörungen.

Deutschland hat einen neuen Lebensmittelskandal. Und wieder soll es ein Einzelfall sein? Die bedauerliche Entgleisung eines Unternehmers? Insider halten diese Ansicht Aigners für naiv. Zu viel spricht für Fehler im System.

Die angestrebte Agrarwende, 2001 von der damaligen Verbraucherschutzministerin Renate Künast (Die Grünen) mit großer Leidenschaft gefordert, ist längst vergessen. Die Lebensmittelbranche arbeitet heute genauso arbeitsteilig wie die Industrie. Was zählt, ist der Preis. Und um die Eier, Schnitzel und Hühnerbrüste spottbillig ins Discounter-Regal zu bringen, wird vor allem beim Rohstoff gespart: der Nahrung für die Tiere.

Teile der Futtermittelzunft sind dabei nicht zimperlich. Willkommen ist alles, was mehr Gewinn bringt - Vorschriften sind dabei nur lästig.

In Berlin will kaum jemand den wirtschaftlichen Erfolg der deutschen Lebensmittelindustrie gefährden. Es ist der viertgrößte Wirtschaftszweig der Republik. Ein Viertel der 150 Milliarden Euro, die er jedes Jahr umsetzt, wird inzwischen im Ausland verdient.

Wer will da die Preise deutscher Produzenten in die Höhe treiben, durch schärfere Gesetze, durch mehr Kontrollen?

Der jüngste Fettmischer-Skandal zeigt deutlich, wie nachlässig die Behörden mit einer Branche umgehen, deren Ruf durch unzählige Vergehen ramponiert ist. "Wir haben uns bislang hauptsächlich mit Lebensmitteln beschäftigt, nicht mit Futtermitteln", gibt Eberhard Haunhorst zu, Chef des niedersächsischen Landesamts für Verbraucherschutz.

2500 Stichproben nahmen seine Mitarbeiter im vergangenen Jahr - bei 3600 gewerblichen Futterhandelsunternehmen. Und in der übrigen Republik sieht es nicht besser aus: 14 557-mal rückten Kontrolleure aus. Das ist genauso häufig, wie die überschaubare Zahl deutscher Spitzensportler von Dopingfahndern aufgesucht wird.

Wegen ihres Personalmangels setzen die Behörden auf Eigenkontrollen der betroffenen Unternehmen. Jede Firma müsse selbst dafür Sorge tragen, dass nur unbedenkliche Ware in den Handel komme, heißt es in den Vorschriften schwammig. Was die Futtermischer konkret untersuchen müssen, so Haunhorst, stehe nirgends. So hätten viele Betriebe zwar eine eigene Qualitätssicherung eingeführt. Doch bindend sei das alles nicht - und regelmäßige Untersuchungen auf Dioxin seien nicht explizit vorgeschrieben.

Johannes Remmel, der grüne Umwelt- und Verbraucherschutzminister in Nordrhein-Westfalen, fordert seine Kollegen in den anderen Bundesländern nun mit Gesetzesvorschlägen heraus, die die Lebensmittelproduzenten stärker als bisher in die Pflicht nehmen sollen. Traditionelle Agrarländer wie Niedersachsen und Bayern wollen indes an der jetzigen Praxis nicht allzu viel ändern. Sie erwarten, dass der forsche Kollege angesichts des Gegenwinds schon bald wieder einlenken werde.

Wohin jedoch der lasche Umgang mit den Herstellern unserer Nahrung geführt hat, dafür kann der Fettmischer von Uetersen als Paradebeispiel herangezogen werden. Als Siegfried Sievert, Chef der Firma Harles und Jentzsch, mit den ersten Dioxin-Ergebnissen konfrontiert wurde, reagierte er zunächst routiniert abwiegelnd, so wie es üblich ist in der Branche, wenn mal Unappetitliches nach außen dringt. Sogenannte technische Fette seien in seinem Betrieb ins Futterfett geraten. Das sei ein bedauerlicher Fehler. Ein Versehen, mehr nicht.

Erstaunlich nur, dass ein Futtermittelzulieferer überhaupt mit sogenanntem technischen Fett hantiert, das nicht für die Nahrungskette bestimmt ist. Siebert erklärte dazu, sein Unternehmen habe "eine Parallelproduktion für die Papier-industrie". Zur Frage, warum die nicht auf seiner Homepage erscheine, antwortete er dem SPIEGEL: "Das kann ich im Moment schwer sagen."

Wolfgang N. ist seit über 15 Jahren in der Futtermittelindustrie tätig. Er kennt die Firma aus Uetersen und all die anderen Betriebe dieser Branche, und er kennt ihre Machenschaften. Es sei durchaus kein Zufall, sagt er, dass dieses 15-Mann-Unternehmen jetzt aufgefallen sei. Viele kleinere und mittlere Betriebe tricksten und tarnten. Die Großen dagegen könnten sich Eingangskontrollen für die Rohstoffe leisten. Sie täten dies, um nicht in einen geschäftsschädigenden Skandal verwickelt zu werden.

Aber selbst diese umsatzstarken Marktführer prüften längst nicht jede Lieferung. Die Tests - etwa auf Dioxin - sind aufwendig, sie kosten 400 Euro, und sie dauern einige Wochen. Ein möglicher Weg, um nicht aufzufallen, sei es, zweifelhafte Fette mit anderen Lieferungen so weit zu strecken, dass das Endprodukt auf jeden Fall unter den Grenzwerten bleibt.

Als kritisch gilt unter Experten wie N. auch, dass viele Fettmischer zugleich Sondermüllhändler seien. So überrascht es nicht, dass kaum eine andere Branche das Recycling von Ausschuss derart ausreizt wie die Futtermittelindustrie. Aus Müll macht sie Mahlzeiten, und Tiere degradiert sie zu Abfalleimern. Da können auch mal zermahlene Federn und Sägespäne als Füllmasse dienen. Schamgrenzen gibt es nicht. Auch Klärschlamm kam schon ins Futter, mit Gülle und Gerbereiabwässern wurde experimentiert.

Seinen Anfang nahm der aktuelle Skandal ausgerechnet bei einem Unternehmen, das die Antwort auf die DioxinVerseuchungen zur Jahrtausendwende sein sollte: Die Firma Petrotec Biodiesel ist darauf spezialisiert, aus alten Speisefetten umweltfreundlichen Kraftstoff zu gewinnen. Seit 2000 betreibt das Unternehmen eine moderne Raffinerie in Emden. Schon in den neunziger Jahren bot das Geschäft eine saubere Alternative zur bisherigen Praxis, die ranzigen Rückstände aus der Gastronomie im Tierfutter zu entsorgen.

Richtig in Schwung kam das Geschäft, als 2002 die Entsorgung der Fette im Futter europaweit verboten wurde. Dass die anfallenden Nebenprodukte des Raffineriebetriebs "nichts im Futter verloren" hätten, sagt Roger Boeing, bis zum vergangenen Jahr Petrotec-Chef, sei immer klar gewesen. Schließlich könne niemand eine Verschmutzung der angelieferten Altfette ausschließen. Und getestet werde bei Petrotec nicht, weil Dioxin-Spuren im Biodiesel belanglos seien.

Firmen wie Petrotec beziehen ihren Rohstoff aus aller Welt. Da wird auch mal eine Schiffsladung aus den USA in Deutschland verarbeitet. Und weil Fett hin und her verschoben wird, kann es beim Transport leicht zu Verunreinigungen kommen. Branchenkenner Wolfgang N. behauptet, dass Spediteure Fässer und Tanks zwischen zwei Fuhren nicht regelmäßig reinigen, um Kosten zu sparen.

Woher das Dioxin stammt, das nun Tausenden deutschen Bauern das Geschäft verhagelt, ist noch unklar. Als die Experten des Chemischen und Veterinäruntersuchungsamts in Münster die Proben begutachteten, gerieten sie ins Staunen: "Dieses spezielle Muster haben wir noch nie gesehen", sagt Institutsleiter Axel Preuß. Mit hoher Wahrscheinlichkeit sei das Gift nicht während der Bearbeitung bei Petrotec entstanden. Um die Herkunft des Dioxin aufzuklären, will NRW jetzt ein Gutachten in Auftrag geben.

Womöglich kann das Rätsel nie gelöst werden. Dennoch debattieren die Politiker nun öffentlich darüber, was unbedingt geändert werden müsse. Dabei haben manche das Ausmaß der Pansch-Affäre anfangs völlig unterschätzt. Mehreren Ministerien der betroffenen Bundesländer war schon vor Weihnachten bekannt, dass ein neuer Dioxin-Skandal heraufzog. Sogar das Bundeslandwirtschaftsministerium war eingeweiht - doch man hielt still, auch die zuständige Stelle der EU wurde zunächst nicht informiert.

Und so saß der niedersächsische Regierungschef David McAllister (CDU) am Tag vor Silvester gerade in einem Fernsehstudio des NDR und wurde für die Aufzeichnung seiner Neujahrsansprache gepudert, als ihn ein Anruf aus Düsseldorf ereilte: NRW-Umweltminister Remmel bat nach Dioxin-Funden dringend darum, ihm vollständige Lieferlisten der verdächtigen Mischfutterfirmen aus Niedersachsen zu übermitteln.

Tagelang hatte er versucht, wichtige Informationen aus Hannover zu bekommen. Doch der kommissarische Landwirtschaftsminister Hans-Heinrich Sander war nicht greifbar. Erst Remmels Anruf bei McAllister wirkte offenbar - sieben Tage nach der ersten Dioxin-Meldung trafen die Lieferlisten endlich in NRW ein.

Ursprünglich ins Rollen gebracht hatten die Lawine nicht staatliche Kontrollinstanzen und nicht der Uetersener Fettmischer Harles und Jentzsch. Ein Kunde war es, der den Dioxin-Fund meldete. In zwei Partien ihres Legehennenfutters entdeckte das Kontrolllabor der Firma Wulfa-Mast deutlich erhöhte Werte, so das Landwirtschaftsministerium Hannover. Noch am 23. Dezember schloss das Land Niedersachsen Hühnerfarmen, die mit der Ware beliefert worden waren.

Kontrolleure fuhren anschließend zu einem Depot von Harles und Jentzsch im niedersächsischen Bösel. Dort hatten die Mitarbeiter eine einfache Erklärung für das Problem. Auf dem Gelände würden auch technische Fette gelagert, versehentlich sei wohl bei einer Mischung am 11. November der Schieber an Tank 11 falsch bedient worden. Menschliches Versagen, das komme vor. So habe man das technische Fett mit dem Futterfett vermischt. Es seien noch sechs weitere Futterhersteller mit der verseuchten Ware beliefert worden.

Eigentlich hätten die Behörden einschreiten sollen, doch ein Taschenrechner rettete erst mal die Ruhe. Die Beamten kalkulierten einen so geringen Fettanteil der Futterchargen, dass trotz des Dioxin-Fetts die gesetzliche Höchstgrenze wohl nicht überschritten worden sei.

Am 29. Dezember suchten die niedersächsischen Kontrolleure das Zwischenlager in Bösel wieder auf - und stellten nun fest, dass auch in anderen Futterfett-Tanks ungeeignete technische Fettsäure dümpelte. In der Uetersener Firmenzentrale bot sich das gleiche Bild: Vier Tanks waren mit vergifteter Ware gefüllt. Das ließ sich nicht mehr mit einem Bedienungsfehler erklären.

"Dahinter kann man nur hohe kriminelle Energie vermuten", urteilt Hans-Michael Goldmann (FDP), Vorsitzender des Bundestags-Ausschusses für Verbraucherschutz, "dabei dachte ich, dass die Zeit vorbei ist, in der Abfall in Futter entsorgt wird." Der Profit für Panscher: Technische Fette sind um rund ein Drittel billiger als Futterfette.

Immerhin, so rühmt sich nun der Deutsche Verband für Tiernahrung, hätten "Eigenkontrollen und Sicherheitsmaßnahmen" den Fall aufgedeckt. Das System funktioniere doch.

Nicht ganz: Harles und Jentzsch hat im vergangenen Jahr dreimal seine Fettsäuren kontrolliert. Und bei allen diesen Eigenkontrollen war der zulässige Dioxin-Wert (0,75 Nanogramm pro Kilo) deutlich überschritten: Am 19. März lag er bei 1,60, am 21. Juni bei 1,40 und am 7. Oktober bei 1,44 Ng. Doch in keinem Fall hat das Unternehmen die Behörden informiert, niemals die Kunden unterrichtet, niemals seine Ware gesperrt.

Als am 28. Juli staatliche Kontrolleure bei Harles und Jentzsch vorbeischauten, bekamen sie diese Testergebnisse offenbar nicht zu sehen. Eigene Proben der Behörde auf Dioxin ergaben angeblich keine Auffälligkeiten. Selbst Lieferscheine mit dem Hinweis, die eingekauften Fettsäuren seien nicht für Futtermittel geeignet, machten die Prüfer nicht stutzig. Es seien ja auch Fette an die Papierindustrie verkauft worden, heißt es nun zur Erklärung.

Das Unternehmen genoss bei den Behörden offenbar Vertrauen. Weil Personal abgebaut worden ist, arbeiten die Prüfer in Schleswig-Holstein "risikoorientiert", das heißt: Auffällige Unternehmen werden häufiger kontrolliert, unauffällige seltener. So kam es, dass Harles und Jentzsch zuletzt nur noch mit einer Prüfung pro Jahr rechnen musste, obwohl die Firma fast alle norddeutschen Mischfutterwerke beliefert. Nach der Visite im Juli konnte sie folglich ziemlich unbesorgt weiterpanschen.

Dass die Affäre bislang trotzdem ziemlich glimpflich für die Gesundheit der Konsumenten ausgegangen ist, hat mit den Eigenschaften des Dioxins zu tun. Obwohl der Stoff als hochgefährlich gilt, geht von den verseuchten Eiern und kontaminierten Schnitzeln keine konkrete Gefahr aus. "Die festgestellten Konzentrationen sind so gering", sagt Helmut Schafft, zuständig für Futtermittel beim Bundesinstitut für Risikobewertung in Berlin, "dass nur bei einem regelmäßigen Verzehr über einen längeren Zeitraum ein Problem entstehen kann."

Ohnehin wurde der EU-Grenzwert von 3 Pikogramm Dioxin pro Gramm Fett im Ei nur in wenigen Fällen überschritten, und selbst diese Schwelle gilt bei Experten als umstritten. Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) etwa hält es für "duldbar", dass ein Mensch täglich vier Pikogramm pro Kilogramm Körpergewicht aufnimmt.

Eine 75 Kilogramm schwere Person müsste demnach eine Tagesdosis von 300 Pikogramm problemlos verkraften können - das sind jede Menge der jetzt belasteten Dioxin-Eier, aber nur wenige Mahlzeiten von oft hochbelasteten Fischen wie Aal oder Lachs. "Dioxine sind überall", relativiert deshalb Wissenschaftler Schafft, "jeder Mensch nimmt täglich ganz automatisch winzige Mengen auf."

Selbst Bio-Eier, zu denen nun etliche Verbraucher greifen, sind streng genommen kontraproduktiv, wenn die Hühner auf kontaminierten Böden scharren. "Eier von den Mistkratzern, die bei Oma hinterm Haus laufen, haben sowieso fünf Pikogramm", räumt Rudolf Joost-Meyer zu Bakum ein, der Vorsitzende der Gesellschaft für Ökologische Tierernährung. Und das natürlichste aller Nahrungsmittel, das besonders gesund ist, müsste verboten werden, wenn man allein den Dioxin-Standard der Weltgesundheitsorganisation zum Maßstab macht: Muttermilch übersteigt diesen WHO-Grenzwert um das Mehrfache.

Zu allem Übel machen es die Behörden dem Konsumenten auch noch schwer, sein Risiko selbst zu bestimmen. Die Namen der Betriebe und die Codes auf ihren Eiern müssten "sofort auf den Tisch", fordert Günther Hörmann, Chef der Hamburger Verbraucherzentrale. In Skandinavien sei das selbstverständlich, und auch nach dem deutschen Gesetz sei dies möglich.

"Aber hier befragen zittrige Beamte erst lange ihre Rechtsabteilung", klagt Hörmann. Fast drei Wochen nach Bekanntwerden des Skandals sind bisher erst die Eier-Codes von zehn betroffenen Betrieben veröffentlicht.

Dioxine

sind eine Gruppe von rund 75 auf Benzol und Chlor basierenden chemischen Verbindungen. Einige von ihnen sind schon in geringsten Mengen hochgiftig. Als Dioxin wird umgangssprachlich meist das Tetrachlordibenzo-p-dioxin (TCDD) bezeichnet - das "Seveso-Gift", das beim Chemieunfall 1976 in Norditalien die Umwelt verseuchte. Dioxine entstehen als Abfallprodukte der Industrie, zum Beispiel bei Müllverbrennung oder der Aufarbeitung von Altölen. Unter hohen Temperaturen, etwa bei Waldbränden, kann sich ebenfalls Dioxin bilden, auch Zigarettenrauch enthält den Schadstoff. TCDD ist eines der stärksten synthetischen Gifte. Eine akute Vergiftung äußert sich oft in der sogenannten Chlorakne; das Gift schädigt zudem Immun- und Nervensystem, die Leber und den Hormonhaushalt. Langfristig kann es Krebs erzeugen. Dioxin reichert sich im Fettgewebe an und ist erst nach Jahren wieder vollständig abgebaut. Eine Dioxin-Belastung der Mutter schädigt über die Plazenta ein ungeborenes Kind. Über die Muttermilch kann das Gift zu Organschäden führen.

http://www.spiegel.de 10.01.2011

Katzen würden Mäuse kaufen

Buchempfehlung:
Katzen würden Mäuse kaufen
Schwarzbuch Tierfutter
von: Hans-Ulrich Grimm

(auch für >Fleischessende< Nichttierhalter sehr interessant zu lesen!)


Produkt-Beschreibung zu: Katzen würden Mäuse kaufen
Zufrieden schnurrt ein hübscher Kater mit glänzendem Fell, nachdem er sein Fressen bekommen hat - glaubt man der Werbung, so ist für unsere Haustiere das Beste gerade gut genug. Doch die Realität sieht anders aus. Wussten Sie, dass aus Erdgas ein bizarrer Fleischersatz hergestellt wird? Für Menschen verboten, für Tiere erlaubt...
Mit Aromen, Geschmacksverstärkern, Konservierungs- und Farbstoffen und dem ganzen Arsenal der Kunstnahrungshexenküche wird ein leckeres Menü für Waldi und Minka zubereitet. Und die Zukunft hat schon begonnen: Mit Biotechnologie und High-Tech landen Bakterien und Pilze im Fressnapf unserer Lieblinge. Die Tiere leiden. Hunde und Katzen bekommen Diabetes, Herzkrankheiten und Krebs, Schweine haben Darmprobleme, und unter Rindern breiten sich gefährliche Bakterien aus, die auch den Menschen befallen können. Sie sind nicht nur im Fleisch, sondern bereits im Trinkwasser zu finden.


Leseprobe:
Es ist ein schönes Land, das Land, aus dem Whiskas kommt. Es gibt dort Bäche und Wiesen und Bäume und ganz kleine Häuschen. Alles aber wird weit überragt von einem Turm. Es ist kein Kirchturm, sondern eher ein Fabrikturm, auf ihm sind, ganz oben, eine Katze abgebildet und ein Hund, und es steht Whiskas darauf und Pedigree. Sie sind sehr tierfreundlich hier, es gibt sogar eine kleine Pension für Hunde und Katzen, mit strahlend weißen Wänden, einem leuchtend roten Dach und einem Zaun drumherum. Schon von weitem ist zu sehen, wie die Tiere fröhlich herumtollen. Das sind die »Testesser« der Firma.

Man ist auch zu Menschen sehr gastfreundlich hier. Besucher sind willkommen, sie dürfen durch eine gläserne Tür gehen, werden an einer Rezeption freundlich begrüßt. Im Empfangsraum prangt auch ein großes Plakat mit Whiskas-Werbung, daneben ein Poster, das stolz darauf hinweist, dass sie die Sendung »Hundkatzemaus« im Fernsehen sponsern. In einer Vitrine sind all die tollen Produkte der Firma aufgestellt: Whiskas, Kitekat, Trill, Pedigree. Eigentlich alles, was Rang und Namen hat in der Welt von Bello und Mieze und Hansi. Auch das berühmte Chappi kommt von hier, deswegen nennen sie die Firma hier im Ort immer noch die »Chappi-Fabrik«. Die Firma heißt Masterfoods, sie ist rund um den Globus ganz groß im Geschäft. Die Tierliebe der Leute ist ein gutes Geschäft. Das Tierfutter-Business blüht, der Trend geht zu immer luxuriöseren Produkten.

Große Firmen wie Nestlé Purina und Royal Canin rangeln um die Führungspositionen. Mit immer neuen Kreationen sollen Herrchen und Frauchen verführt werden. Das Geld sitzt bei ihnen offenbar locker. Besonders erfolgreich ist das »Hochpreissegment«, sagt eine Branchenkennerin. Die Devise laute: »Luxus pur«. Für die Tiere ist nichts zu teuer. Vom Tier lebt eine ganze Branche, und sie lebt gut. Spezialgeschäfte breiten sich aus, Hundehotels kümmern sich um die vierbeinigen Lieblinge, Psychologen pflegen ihre zarten Seelen (siehe Kapitel 5). Das Tier ist für viele Menschen zum Partner geworden, sie behandeln es wie einen Freund - oder gar wie einen Lebensgefährten (siehe Kapitel 2). Sie wollen, dass es dem Tier gut geht. Sie geben für einen Sack Trockenfutter gern mehr aus als für ein Kilo Rinderbraten.

Es ist auch ein Geschäft mit dem Vertrauen. Wer sein Tier liebt und viel Geld ausgibt, will natürlich auch wissen, ob alles wahr ist, was die Werbung verspricht: Dass in Dosen und Säcke nur das Allerbeste kommt. Dass es nichts Gesünderes, dass es überhaupt nichts Besseres gibt für Bello und Mieze als Chappi und Whiskas. Die Zentrale von Masterfoods liegt in Amerika, das deutsche Hauptquartier hier in Verden an der Aller, der Kleinstadt mit 28 000 Einwohnern, 43 Kilometer südöstlich von Bremen. Barbara Grewe will mal sehen, wie das Futter für ihre Lieblinge produziert wird. Ihre Katzen Kitty und Felix bekommen Whiskas praktisch von Geburt an, und es ist ihnen gut bekommen. Wahre Wonneproppen seien sie geworden.

»Was will man mehr«, sagt Frau Grewe. Sie ist aus Twistringen angereist, einer 13 000-Einwohner-Gemeinde siebzig Kilometer westlich von hier. Für die Besucher ist Herr Meier zuständig. Friedrich Meier. Er wirkt schon mal sehr vertrauenerweckend. Weißer Kittel. Weißer Helm. Er ist Sicherheitsingenieur. Auch die Besucher müssen sich weiße Kittel überziehen und einen Helm aufsetzen. Wegen der Hygiene und der Sicherheit. Herr Meier führt durch den Betrieb. Erst durch das Büro, es ist ein Großraumbüro, in dem auch die Chefs sitzen und jederzeit ansprechbar sind. Das ist so ein amerikanisches Prinzip. Masterfoods ist ja eine amerikanische Firma. Dann geht es durch eine Tür hinaus aufs eigentliche Werksgelände. Bei einer Anlieferungsrampe hält Herr Meier inne. Hier rollen die Lastwagen an mit ihren riesigen Anhängern. Heute ist offenbar Fleisch angekommen. »Badenhop Fleisch« steht auf den Trailern. Das sei ein Händler aus der Nähe, sagt Herr Meier.

Laut Eigenwerbung ist Badenhop ein Zulieferer für die Heimtierindustrie mit »internationalen Verbindungen«. Dann geht es in die eigentliche Fabrik, mit Fließbändern, Abfüllanlagen, Packstationen. Dosen sausen. Dampf zischt. Fließbänder rollen. Fleisch kommt aus Düsen, rötlich, cremig, oder fällt aus durchsichtigen Röhren, wie die Kugeln bei der Ziehung der Lottozahlen, in Dosen und Schalen. Ein Spritzer mit »Sauce« oben drauf. Mal farbig, mal durchsichtig. Es sind die Abfüllanlagen für Whiskas, Cesar, Sheba. Es herrscht ein ziemlicher Lärm. Die Leute in ihren Overalls müssen Gehörschutz tragen. Es riecht auch nicht sehr angenehm. Überall weisen Schilder auf die Geschäftsziele hin, erinnern an die Hygienebestimmungen und weisen auf Bakterien hin, die jederzeit

eindringen können. Ein Poster beispielsweise warnt vor »Clostridium botulinum«. Das ist eine Horror-Bazille, die ein Nervengift produziert, ein sogenanntes »Neurotoxin«, das schlimmste Bakteriengift, das die Menschheit kennt. Es kommt vor allem in Dosen und Büchsen vor, weil es sich unter Luftabschluss so gut vermehrt. Wenn so etwas in einer Fabrik auftaucht, ist das der Super-GAU, das größte anzunehmende Unglück. Für eine Firma kann das ziemlich teuer werden. Daher gilt: Dem Keim keine Chance. Dafür sorgen riesige Tanks, in denen sterilisiert wird. Bei exakt 127,8 Grad Celsius. Die Hundenahrung soll absolut clean sein. Wobei es dem Hund seinerseits gar nicht so wichtig ist, dass die Sachen keimfrei und hygienisch sind. Der Hund seinerseits mag es ganz gern ein bisschen eklig. Der Hund, meint Herr Meier, hätte es am liebsten gar nicht gekocht. Der würde sein Fleisch am liebsten verbuddeln und nach einem halben Jahr wieder rausholen. So etwas geht natürlich nicht. Klar, dass der Hund mit so etwas keine Chance hat. Der »Aasfresser«, sagt Herr Meier, der sonst sehr freundlich und aufmerksam ist, fast ein bisschen verächtlich. Auf so einen Hund kann so eine Firma natürlich keine Rücksicht nehmen. Schließlich kaufen nicht die Hunde das Futter, sondern die Menschen. Und die wollen für ihren Liebling nun mal lieber Gourmet-Häppchen mit Reis und Garnelen als Gammelfleisch aus dem Garten. Zwei große Behälter stehen dekorativ erum. Der eine ist gefüllt mit kleinen orangefarbenen Stückchen: Karotten, ein, zwei Zentner. Die sind irgendwo in einer gemüseverarbeitenden Fabrik ausgesondert worden, waren nicht fein genug für die Menschen.

Der andere Container enthält hellrosa glänzende Stückchen. Lunge, erklärt Herr Meier. Am Behälter hängt ein Schild: »Category 3 Animal By Products. Nicht für den menschlichen Verzehr geeignet«.

Abfälle aus der Lebensmittelproduktion, ganz offenkundig. Halt! Das Wort Abfall, das hören sie hier gar nicht gern. »Reden Sie nicht über Abfall«, sagt Herr Meier. »Das tut uns weh.« Die Tierfutterbranche achtet sehr sorgsam darauf, dass die Produkte für unsere Haustiere, die im Fernsehen teuer beworben werden, nicht mit Müll in Zusammenhang gebracht werden. Millionen werden für Reklame ausgegeben, damit die Leute bereitwillig in die Tasche greifen fürs wertvolle Tierfutter. Und wenn sie wüssten, dass Müll in der Dose ist, dann würde womöglich die Kaufbereitschaft rapide schwinden.

Dabei ist es eigentlich nicht weiter schlimm, wenn die Tiere das bekommen, was die Menschen nicht mehr wollen. Schon seit jeher hat der Mensch die Tiere mit dem gefüttert, was übrig geblieben ist.

Hund und Katz bekamen die Reste vom Mittagstisch, und auch das Schwein fraß das, was übrig blieb.

Mittlerweile ist die Tierfutterbranche vorsichtig geworden. Es hat einige Nahrungsmittelskandale gegeben. Die Rinderseuche BSE, beispielsweise.

© Zsolnay Verlag

Klärschlamm und Kadavermehl im Tierfutter

"Auf die Idee käme niemand"

Tierfutter aus Klärschlamm und giftigen Kadavern wird zur Gefahr für die menschliche Ernährung. Unter dem Preisdruck auf dem Fleischmarkt setzen Landwirte auf Massenhaltung mit Billigstfutter und Antibiotika. Die Brüsseler Verbraucherschützer lassen die Geschäftemacher gewähren.

Im Minutentakt donnern Lastwagen mit Containern durch die malerische Dorfstraße im niederbayerischen Plattling. Ihre Fracht kippen sie am Ortsrand in Fallschächte, die Schlünde führen ins Innere einer Tierkörperbeseitigungsanlage.

"Stinkfabrik" nennen die Einheimischen das Unternehmen, das Abfälle aus Schlachthöfen, Tierarztpraxen und Tierversuchslabors in Viehfutter verwandelt. Neuerdings erst wird der penetrante süßsäuerliche Geruch, der jahrelang über dem Ort waberte, durch eine dicke Schicht Heidegras gemildert, das die Abluftkanäle bedeckt.

Ab und zu verliert ein Lkw unterwegs etwas von seiner Ladung, "fällt schon mal ein Fetzen auf die Straße", wie die Wirtin vom Imbiss nahe der Autobahnabfahrt berichtet. Manchem ihrer Kunden "vergeht da die Lust aufs Schnitzel".

Die Menschen in Plattling haben vor Augen und in der Nase, was letzten Endes auf deutschen Tellern landet. Dem durchschnittlichen Esser hingegen ist es kaum bewusst: Am Anfang der Nahrungskette, die zum Menschen führt, stehen Tierkadaver. Schweinen und Hühnern ihre toten Artgenossen in Form von Tier- und Blutmehl vorzusetzen - das ist für
Landwirte eine bequeme Möglichkeit, die Ausgaben für Aufzucht und Mast zu senken. Nur Wiederkäuer dürfen nicht mit Tiermehl gefüttert werden.

Unter dem Preisdruck, dem die Bauern auf dem Fleischmarkt ausgesetzt sind, macht manch ein Landwirt die Sauerei mit: Damit Fleisch und Wurst immer billiger angeboten werden können, pferchen Agrarunternehmer immer mehr Vieh in immer größere Ställe - da können Tierschützer noch so laut wettern.

So sind Nahrungsmittel vom Bauernhof immer seltener "ein schönes Stück Natur", wie einst ein Werbespruch verhieß. Seit langem schon greifen Landwirte zu Chemikalien und Zusatzstoffen, um ihre Kosten zu drosseln. Weil die Massentierhaltung die Ausbreitung von Seuchen begünstigt, werden dem Futter vorsorglich Antibiotika beigemengt. Die so genannten Leistungsförderer sorgen dafür, dass das Schlachtgewicht schneller
erreicht wird.

Der "größte Posten in der Kalkulation der Mäster" aber, weiß der Lebensmittelchemiker Udo Pollmer, Leiter des Europäischen Instituts für Lebensmittel- und Ernährungswissenschaften, ist das Tierfutter. Deshalb schlage "Kreativität bei der Auswahl der Rohstoffe" stark zu Buche.

Schon die übliche Prozedur, Tiermehl zu produzieren, ist geeignet, den Genuss von Steaks und Schinken zu vergällen.

Es knackt und kracht in der Knochenmühle, wenn ein ausgedienter Zuchtstier durch das Mahlwerk gedreht wird. Mit einem gewaltigen Blubb platzen die gegorenen Gedärme einer Kuh. Die aufgedunsenen Leiber von Ziegen und Schafen werden in dem Riesentrichter zerschreddert.

Die "Karkassen" und die "Konfiskate", wie Schlachtabfälle im Fachjargon heißen, werden bei einem Druck von 3 bar auf 133 Grad erhitzt und mindestens 20 Minuten lang im Sterilisator verkocht. Anschließend wird der braune Brei in einem Vakuumtrockner bei über 100 Grad vier Stunden lang gedörrt, die Trockenschmelzmasse schließlich durch eine
Schneckenpresse gedreht und zu Futterpellets gepresst.

Was früher der Schinder oder Abdecker war, ist heute der Betreiber einer Tierkörperbeseitigungsanstalt, abgekürzt TBA, amtlich ein "Verarbeitungsbetrieb nach Artikel 4 Abs. 1 der Richtlinie 90/667/EWG". 43 solcher Fabriken, die Tierleichen zu Tierfutter recyceln, gibt es in Deutschland. Moderne Anlagen wie die vergangenes Jahr eröffnete TBA im mecklenburgischen Malchin sind die Ausnahme.

Ursprünglich waren Abdeckereien "mal sehr vernünftige Einrichtungen", wie der ehemalige "Herta"-Wurstfabrikant und heutige Biobauer Karl Ludwig Schweisfurth urteilt: Es sollte "eben nichts verkommen". Ethische und ästhetische Bedenken gegen die Wiederverwertung toter Tiere wurden hingenommen: "Man kann das meinetwegen unappetitlich finden", räumt der Plattlinger TBA-Betriebsleiter Bernd Schillinger ein.

Mittlerweile ist das Tiermehl jedoch zum Gesundheitsrisiko für den menschlichen Fleischesser geworden. Denn die in den Bottichen verkochten Kadaver sind nicht nur reich an nahrhaften Proteinen, sondern auch an Giften: Die Laborratten der Pharma-Industrie, denen Krebs erzeugende Chemikalien gespritzt wurden, enden ebenso in der Tierkörperverwertung wie überfahrene Hasen und tote Zootiere.

Bisweilen wird der Brei aus zerschredderten Tierleichen verbotenerweise mit Abwässern aus dem Schlachthof oder aus Toiletten gestreckt. Blut, Federn, Borsten, Sägespäne, Bodenbakterien, Pilze, Rübenschnitzel, Kartoffelabfälle, Kakaoschalen und stinkende Molke dürfen hingegen völlig legal untergerührt werden. Zur Deklaration der Inhaltsstoffe ist
kein Tiermehlhersteller verpflichtet.

In die Fleischmühle kommen auch Küken aus dem so genannten Muser: Die Maschine dient eigentlich der Obstverarbeitung, wird aber auch zum Zerquetschen der frisch geschlüpften männlichen Küken verwendet, die sich naturgemäß nicht zum Eierlegen eignen, mithin keinen Gewinn abwerfen.

Den TBA-Betreibern, weiß die bei Kiel lebende Tierärztin Anita Idel, sei "ziemlich egal, was reinkommt". Entscheidend sei, "dass nichts Infektiöses herauskommt". Das Tierkörperbeseitigungsgesetz schreibt in dieser Hinsicht lediglich vor, dass "die Gesundheit von Mensch und Tier nicht durch Erreger übertragbarer Krankheiten oder toxische Stoffe
gefährdet" werden darf. Sicher ist das allerdings nicht.

Zu Viehfutter verarbeitet werden auch Haustiere, die zu Lebzeiten mit Medikamenten gepäppelt worden waren und in deren Leichen die Gifte "Eutha 77" und "T 61" gespeichert sind, mit denen sie eingeschläfert wurden. Hersteller Hoechst schließt nicht aus, dass ein Großteil der T-61-Jahresproduktion von 5000 Litern im Tiermehl landet. Auch an der
Schweinepest verendete oder zwecks Seuchenprophylaxe getötete Tiere finden via TBA zurück in den Nahrungskreislauf.

Medikamentenrückstände, behauptet der Futtermittelexperte Uwe Petersen vom Bundeslandwirtschaftsministerium, würden "durch die Hitzebehandlung zerstört oder in jedem Falle sehr stark verdünnt". Was freilich passiert, wenn aus Kostengründen die Pampe nicht ausreichend erhitzt wird, zeigte sich in Großbritannien an der Ausbreitung von BSE: Die
schwammartige Gehirnschädigung der Rinder konnte um sich greifen, weil britische Tierfutterhersteller seit Anfang der achtziger Jahre bei der Verarbeitung der Kadaver von Scrapie-kranken Schafen die Prozesstemperatur auf 80 Grad gesenkt hatten.

Was dort zunächst profitabler Pfusch war, wurde nun EU-weit legalisiert. Die Agrarminister beschlossen vergangenes Jahr, die strengen Vorschriften zu lockern: Schlachtabfälle und Tierkadaver müssen nun nur noch auf 80 Grad erhitzt werden.

Dieses Verfahren hilft der Futtermittelbranche zwar, Energiekosten zu sparen. Sie verbessert aber auch die Überlebenschancen von Salmonellen und Kolibakterien; selbst den gefährlichen Botulismus- und Tetanustoxinen machen erst höhere Temperaturen den Garaus.

Die neue Vorschrift passt sich geschmeidig der laxen Praxis an. In mehreren EU-Mitgliedsstaaten, kritisiert Oskar Riedinger, Lehrbeauftragter für Tierkörperverwertung an der Universität Stuttgart- Hohenheim, "produzieren immer noch Anlagen, von denen man seit 20 Jahren weiß, dass sie nicht ordnungsgemäß sterilisieren können".

Zu Tiermehl verkocht werden auch Pottwale, die bisweilen in der Nordsee stranden. Die Kadaver der Meeressäuger sind teilweise voller Schadstoffe wie DDT, Chlorparaffine und PCB. Sie müssten deshalb als Sondermüll entsorgt werden, forderte Greenpeace-Chemieexperte Manfred Krautter: "Niemand käme auf die Idee, hoch belasteten Klärschlamm als Futtermittelrohstoff einzusetzen." Da irrte der Kritiker: Den Einfall hatten windige Unternehmer schon lange.

Französische Tierfutterhersteller haben, wie im vergangenen Sommer bekannt wurde, jahrelang Fleischmehl mit Klärschlamm aus den werkseigenen Anlagen vermischt. Durch die Enthüllung im Nachbarland kam auch die Plattlinger Stinkfabrik ins Gerede.

Dort war ebenfalls Klärschlamm in die Abkochmaschinen geleitet worden - "bakterielle Biomasse", wie der Gewässerschutzbeauftragte des Betriebs die Zutat verharmloste. Der Vorfall zeigt, dass sich gleichsam aus Scheiße Gold machen lässt: Seit das Werk vor ein paar Jahren privatisiert wurde, wirft es Millionengewinne ab.

Der Schlamm-Mix war jahrelang von der zuständigen Aufsichtsbehörde geduldet worden. Die Bezirksregierung in Landshut hatte 1992 die Genehmigung erteilt und dabei ein kurz zuvor erlassenes EU-Verbot "wohl übersehen", so die amtliche Erklärung.

Der Leiter des Instituts für Umweltmedizin an der Universität Freiburg, Professor Franz Daschner, warnt vor möglichen Schadstoffbelastungen des Fleisches von Tieren, die mit Klärschlamm-Fleischmehl gefüttert wurden: Schwermetalle, Bakterien oder Dioxine könnten sich darin befinden. "Klärschlamm-Rückstände", so Daschner, "können praktisch jedes
organische System vom Gehirn bis zum Herzen, bis zum Muskel, bis zu den Nerven schädigen".

Schon heute befürchtet jeder zweite Deutsche, dass Fleisch krank macht. Besorgt ist auch der Deutsche Bauernverband (DBV) - vor allem ums eigene Image: "Das Vertrauen der Verbraucher in die deutsche Landwirtschaft", erklärt das DBV-Präsidium, sei durch die Affären um verunreinigtes Futter "in Mitleidenschaft gezogen" worden. Die Hersteller von
Tiernahrung müssten ihre "Kontrollen verstärken".

Die Attackierten weisen den Vorwurf zurück und reichen die Schuld weiter: "Die Zulieferer sind unsere Achillesferse", klagt Alexander Döring vom EU-Dachverband der Mischfutterindustrie.

Als eine Schwachstelle im System haben sich die Fettschmelzer erwiesen, die diverse Grundsubstanzen für kalorienreiche Kost liefern, wie sie vor allem das Federvieh braucht. "Im Geflügelfutter steckt besonders viel Fett, weil für die schnelle Mast reichlich Energie nötig ist", erläutert Peter Radewahn, Geschäftsführer des Bundesverbandes der
Mischfutterhersteller.

Als billige Energiespender bieten sich die Abfälle aus Frittenbuden an. 100 000 Tonnen Altfette aus deutschen Großküchen und Backstuben fallen jährlich auf diese Weise an. Ein Teil wandert nach Holland und Belgien, wo die größten europäischen Fettschmelzen stehen.

Fett ist Fett, sagt sich manch ein Panscher, und auch Hydraulik-Öl sättigt Hühnermägen. Der Fettschmelzer Jean Thill von der belgischen Firma Fogra soll seine Fettlieferungen mit Schmiermitteln aus Automotoren gestreckt haben.

Die Fetthändler haben sich nicht von ungefähr in der Nähe des Hafens von Rotterdam angesiedelt. Abfall- und Reinigungsfirmen, die Containerschiffe und Frachter ausfegen, verkaufen das ölhaltige Spülwasser an die Fettsammler, die damit ihre ranzige Ware verlängern. Der Einfachheit halber verkochen manche Fettschmelzer Plastikbehälter
gleich mit.

Die EU lässt die Futtermittelhersteller weitgehend unbehelligt gewähren.
Die amtlichen Kontrolleure schaffen pro Jahr gerade mal 18 000 Stichproben. Dabei werden in der EU von 3700 Unternehmen jährlich 120 Millionen Tonnen Mischfutter hergestellt; allein die 526 deutschen Produzenten bringen 19 Millionen Tonnen auf den Markt.

Mit chemischen Analysen lassen sich zudem nur Schadstoffe aufspüren, nach denen gezielt gesucht wird - und Transformatorenöl war bisher im Tierfutter nicht vermutet worden. "Man kann ja nicht auf alle scheußlichen Substanzen untersuchen", sagt die Tiermedizinerin Idel.

Deutsche Lobbyisten verweisen gern darauf, dass sich Agrarskandaledurchweg im Ausland ereigneten. Doch das ist nur die halbe Wahrheit. Auch in Deutschland haben sich Tierärzte immer wieder zu Komplizen von Kälbermästern gemacht und die Fleischproduktion durch Hormon-Missbrauch kräftig gesteigert. Auch dioxinverseuchtes Hühnerfutter ist in der
Bundesrepublik in den Handel gekommen: Zwei brandenburgische Trockenwerke wurden im vergangenen Herbst vorübergehend geschlossen, weil sie zur Herstellung von Grünmehl giftigen Bauschutt und Plastikmüll verbrannt hatten; mit dem Rauch waren Dioxine ins Futter gelangt.

Und: Auf kriminellen Umwegen importierte Billigware wird auch in Deutschland verarbeitet. Im vorigen Sommer, auf dem Höhepunkt des belgischen Dioxinskandals, wurden in Gießen 3000 Schweine aus dem Nachbarland geschlachtet. So wurden Tiere, für die in Belgien ein
Schlacht- und in Deutschland ein Handelsverbot bestand, die mithin legal nicht zu vermarkten waren, durch einen Stempel vom Schlachthof zu deutschen Koteletts.

"Radikale Änderungen" bei der Überwachung der Lebensmittelsicherheit in Europa hat der seit September 1999 amtierende EU-Kommissar für Gesundheit und Verbraucherschutz, der Ire David Byrne, angekündigt. 60 Prozent der Unionsbürger, besagt eine EU-Statistik, machen sich Sorgen, ob Agrarprodukte ohne Risiken verzehrt werden können.

Doch bis vor kurzem haben Politiker die Warnungen vor Gesundheitsgefahren als hysterisch verketzert und die regelmäßig wiederkehrenden Nahrungsmittelskandale verharmlost. Dioxin im Hühnerschenkel, wiegelte der deutsche Landwirtschaftsminister Karl-Heinz Funke ab, sei doch nur ein "Betriebsunfall". Die Ignoranz gegenüber möglichen Spätfolgen erklärt sich Angelika Michel-Drees, Referentin bei der Arbeitsgemeinschaft der Verbraucherverbände (AgV) in Bonn, mit der simplen Logik, dass nicht schade, wovon "man nicht auf der Stelle tot umfällt".

Erst in jüngster Zeit beginnen Politiker, das Thema Lebensmittelqualität ernst zu nehmen. EU-Verbraucherschützer Byrne jedenfalls kündigt die Schaffung einer neuen Lebensmittelbehörde an, der die Kontrolle der Nahrungsmittelkette "vom Acker bis zum Teller" obliegen soll. Was am dringlichsten geboten wäre, eine Positivliste der für Tierfutter
zugelassenen Inhaltsstoffe, kann Byrne indes nicht durchsetzen.

Auch sonst darf er an Symptomen herumdoktern, aber das Übel nicht an der Wurzel packen. Denn die Risiken, die der Verbraucherkommissar eindämmen will, haben ihre Ursachen nicht zuletzt in der EU-Agrarpolitik. Die Schockerserie von BSE bis Dioxin sei deshalb nur "die Spitze eines Eisbergs", fürchtet Lutz Ribbe von der Stiftung Euronatur. Derlei Gefahren werde es geben, "solange die industrielle Fleischproduktion nicht gestoppt wird".

Die Produktionsbedingungen führen auch dazu, dass immer mehr Pharma-Produkte ins Tierfutter gemischt werden - als so genannte Wachstumsförderer. Früher brauchten Schweine etwa ein Jahr, bis sie ihr Schlachtgewicht erreicht hatten. Spezialfutter bringt sie heute in etwa drei Monaten auf 80 Kilo.

Gebräuchliche Wachstumsförderer sind Carbadox und Olaquindox - Mittel, die im Verdacht stehen, Krebs zu erregen beziehungsweise das Erbgut zu schädigen. Jedes Jahr werden in der EU rund 1600 Tonnen Antibiotika prophylaktisch an Schlachttiere verfüttert, etwa ein Fünftel der gesamten Antibiotikaproduktion.

Auch im Fleisch, das der Mensch verzehrt, sind noch "Reste von Antibiotika", weiß der Mikrobiologe Wolfgang Witte vom Robert-Koch- Institut in Wernigerode.

Als so genannte Leistungsförderer sollen Antibiotika die Mikroflora des Darms für eine bessere Futter- und vor allem Eiweißverwertung stabilisieren. So können die Futtermengen reduziert und Kosten gesenkt werden.

Die verschwenderischen Antibiotika-Gaben rotten die Bakterien jedoch nicht völlig aus, sondern machen sie nur widerstandsfähiger gegen die Arzneien - mit gefährlichen Folgen auch für die Menschen. In Hongkong starb im vergangenen Jahr eine Frau an einer Bakterieninfektion, weil die resistenten Erreger mit Antibiotika nicht zu behandeln waren.

Immerhin: Seit vergangenem Jahr dürfen auf Grund einer EU-Verordnung zwei der vielen gebräuchlichen Antibiotika, Virginiamycin und Zink-Bacitracin, nicht mehr als Tierfutterzusatz verwendet werden. Die beiden Hersteller klagten, erfolglos, vor dem Europäischen Gerichtshof.

Ein Verbot von Antibiotika, hatte zuvor der Geschäftsführer des Bundesverbands für Tiergesundheit, Martin Schneidereit, getönt, "wäre wissenschaftlich nicht gerechtfertigt". Hinter der Organisation steckt nicht, wie der Name vermuten lässt, eine Tierschützergruppe, sondern der Wirtschaftsverband der veterinär-pharmazeutischen Industrie.

Abhilfe verspricht sich "Zeit"-Feinschmecker Wolfram Siebeck nur noch von einem Fleischboykott - das sei das einzige Mittel, "um gewissenlose Geschäftemacher und gleichgültige Agrarier zur Räson zu bringen".

Siebeck setzt darauf, dass der Verbraucher "endlich seine Illusionen aufgibt und sich klarmacht, dass das, was er täglich isst, ein ziemlicher Dreck ist". Doch die Konsumenten geben sich in Meinungsumfragen zwar gesundheits- und qualitätsbewusst, im Supermarkt
aber greifen sie zur Billigstware.

Eier aus Legebatterien haben in Deutschland einen Marktanteil von 75 Prozent, echte Bio-Eier bringen es gerade mal auf 0,7 Prozent. Fleisch aus kontrolliert art- und umweltgerechter Tierhaltung ist im Handel lediglich mit 2 Prozent vertreten.

Ob die neue Lebensmittelbehörde, die der Brüsseler Verbraucherkommissar Byrne einrichten will, die Gesundheit der Menschen in Europa besser schützen kann, ist zweifelhaft. Eingriffe in ihre Souveränität lassen sich die Mitgliedsstaaten kaum gefallen. Selbst die Kommission kann sich bisweilen kaum Respekt verschaffen.

Unlängst verschickten die Brüsseler Aufseher einen Fragebogen an alle Mitgliedsländer, in dem detailliert Auskunft erbeten wurde über die Einhaltung des Verbots, Klärschlamm zu Tierfutter zu verarbeiten.

Lediglich 4 der 15 EU-Staaten hielten es für angebracht, auch nur fristgerecht zu reagieren. NORBERT F. PÖTZL

http://www.spiegel.de 13.03.2000